Ganz persönlich: Sargis Martirosjan im Interview
ÖGV Pressesprecher Markus Koch führte am 31. Juli im Kraftsportbereich der Albert Schultz-Halle ein ganz persönliches Interview mit dem österreichischen Gewichtheber-Aushängeschild Sargis Martirosjan.
Steckbrief
Sargis Martirosjan, geb. 14.09.1986 in Jerewan, Armenien
Bronzemedaillengewinner bei der EM 2016 in Forde, Silbermedaillengewinner bei der EM 2017 in Split, jeweils im Reißen der Kategorie -105kg. 11 Platz bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio.
Markus Koch: Sargis, wo bist Du aufgewachsen und zur Schule gegangen?
Sargis Martirosjan: Ich bin in Jerewan geboren und in Geghakert, Bezirk Etschmiadsin (in englischer Transkription „Echmiadzin“) aufgewachsen. Geghakert ist ein Dorf mit ca. 2.500 Einwohnern, dort bin ich auch zur Schule gegangen. Nach 12 Jahren in der gleichen Schule hat man in Armenien einen Abschluss, der mit der Österreichischen Matura vergleichbar ist. Armenien ist bekannt für sein ausgezeichnetes Schulsystem, auch wenn es oft an Geld fehlt.
Markus Koch: Wie alt warst Du, als Du mit dem Gewichtheben begonnen hast? Wie bist Du zum Gewichtheben gekommen?
Sargis Martirosjan: Ich war 9 Jahre alt, als in meinem Heimatort die armenischen Meisterschaften im Gewichtheben ausgetragen wurden. Ich habe zugesehen und war sofort von diesem Sport begeistert. Ich habe dort den Olympia-Silbemedaillengewinner von Moskau, Yurik Sarkisian, teilnehmen gesehen, der in der Kategorie -60kg gewonnen hat. Er wohnte auch in Geghakert. Die Gewichtheberhalle war nur 50 Meter von meiner Schule entfernt, deshalb konnte ich leicht dorthin gehen und fragen, ob ich mitmachen darf. Das war ein in Armenien nicht unüblicher Start, fast 90% beginnen dort früh in einem Sportverein, nicht zuletzt deshalb, weil es wenig andere Freizeitbeschäftigungen gibt. Aber natürlich bleiben dann nicht alle dabei und starten eine echte Sportkarriere.
Markus Koch: Wie hat denn Deine Gewichtheberausbildung zu Beginn ausgesehen?
Sargis Martirosjan: Als 9jähriger habe ich mit einer Holzhantel begonnen, ca. 3kg schwer. Damit wurde mir die Technik beigebracht. Anders als in Österreich wurde im Gewichtheberverein auch zu Beginn der Ausbildung eher wenig Leichtathletik gemacht, kurze Sprints, Sprungübungen und Turnübungen gab es schon, aber das war eher Teil des Aufwärmens. Im Training selbst hat man sich zuerst vor allem auf eine gute, effiziente Technik konzentriert. Zweiteres versucht man in Österreich auch, aber mein Gefühl ist, dass wir mehr Trainer und vor allem besser ausgebildete Trainer in den Vereinen hatten. Von Beginn weg lag mir das Reißen mehr als das Stoßen, vielleicht auch, weil es mir einfach besser gefallen hat und ich daheim vor dem Spiegel immer wieder die Bewegung geübt habe. Ab ca. 11 Jahren wurden die Lasten schrittweise erhöht und „richtiges“ Gewichthebertraining begann. Auch den extrem breiten Griff beim Reißen, der mich später auszeichnen sollte, habe ich in dieser Zeit schon geübt. Mit dieser Technik braucht man nicht so hoch ziehen und kann höhere Lasten bewältigen. Allerdings wird man in der Hocke instabiler, das hat auch seine Tücken. Bei meinem ersten Wettkampf bin ich mit einem Totalversager im Reißen ausgeschieden. Sehr bald konnte ich aber bereits 50kg reißen, obwohl ich zu dieser Zeit selber gerade einmal 32kg gewogen habe.
Markus Koch: Wo siehst Du die Unterschiede zwischen der Grundausbildung in Armenien und in Österreich? Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass wir permanent Nachwuchssorgen haben?
Sargis Martirosjan: Wie bereits vorhin erwähnt sehe ich den Hauptgrund in den mangelnden Trainern. In Armenien hat praktisch jeder Verein mindestens einen hauptberuflichen Trainer, der von 10:00 vormittags bis 21:00 abends in der Sporthalle ist und jeden Interessenten sofort unter seine Fittiche nehmen kann. Viele Vereine leisten sich sogar mehrere Trainer. Die Trainerausbildung ist gut, weil der Trainerjob begehrt ist. In Österreich habe ich bemerkt, dass viele Vereine entweder gar keinen richtigen Trainer haben, oder dass irgendein ehemaliger Gewichtheber das als Hobby und unbezahlt nach seiner eigentlichen Arbeit übernimmt. Natürlich hat dieser Mann dann kaum die Möglichkeiten, sich entsprechend professionell weiterzubilden. Vor allem hat er auch nicht die Zeit so lange in der Halle zu sein wie in Armenien. Er wird es auch nicht schaffen, sich mit den jungen Athleten ausreichend über die reine Trainingszeit hinaus zu beschäftigen. Wie viel hat ein Athlet geschlafen? Was hat er gegessen? Welche Aktivitäten hat er neben dem Sport durchgeführt? Wenn man das alles nicht weiß kann man auch das Training nicht vernünftig planen und steuern. Wenn junge Athleten nun zum Training kommen und nicht entsprechend betreut werden können, dann stellen sich auch keine Erfolge ein. Weniger Erfolge bedeuten wiederum weniger Medienpräsenz und damit auch wieder weniger Interessenten. Dieser Teufelskreis müsste durchbrochen werden, damit sich etwas ändert. Was mich immer wieder wundert ist, dass man wiederholt versucht, mit viel Aufwand im Spitzensport etwas zu verbessern. Die Betreuung in Rio war vorbildhaft, da könnten sich viele Nationen von Österreich noch etwas abschauen. Aber wenn die Basis nicht da ist werden diese Maßnahmen nur in Einzelfällen zum Erfolg führen.
Markus Koch: Warum bist Du aus Armenien weggegangen?
Sargis Martirosjan: Gewichtheben war für mich seit frühester Jugend das Hauptinteresse. Ich wurde auch armenischer Juniorenmeister. Trotzdem wurde ich für internationale Einsätze nicht in Erwägung gezogen. Da mein ganzes Leben auf den Sport ausgerichtet war fehlten mir damit die Zukunftsperspektiven.
Markus Koch: Warum wolltest Du gerade nach Österreich?
Sargis Martirosjan: Ich war jung und hatte noch wenig Welterfahrung. Ich habe Übertragungen von Schirennen gesehen und den österreichischen Schistar Hermann Maier bewundert. Ein Land, in dem der Sport einen so hohen Stellenwert hat schien mir als ein idealer Ort zur Verwirklichung meiner Träume. Außerdem haben mir die Berge gefallen. Auch Armenien ist ein Land mit vielen Bergen, ich habe mir gleich gedacht, „hei, da kann ich mich sofort daheim fühlen“. Welche Schwierigkeiten ich zu meistern haben würde habe ich nicht gesehen. Bereut habe ich den Schritt aber nie.
Markus Koch: Wann bist Du denn nach Österreich gekommen?
Sargis Martirosjan: Ich kam am 1.11.2005 nach Österreich und stellte einen Asylantrag. Der wurde 2 mal abgelehnt, weil meine Argumente ein wenig dünn waren. In der Zwischenzeit hatte man aber bemerkt, dass ich ein sehr talentierter Gewichtheber bin, daher wurde ein Antrag auf „Einbürgerung im Interesse der Republik gestellt“. Die erste Zeit war hart. Mit der staatlichen Unterstützung, die ich erhalten habe, kann man leben, aber kaum professionell Sport betreiben. Es gab aber Vereine und Privatpersonen, die mir in dieser Zeit sehr geholfen haben. Speziell im Badener Verein fand ich Hilfe. Hans Laisser hat mir Taschengeld zugeschossen, damit ich mich auf das Training konzentrieren konnte. Gerhard Jeckel hat mir eine Wohung organisiert, Michael Ceidl die medizinische Betreuung. Ohne diese Hilfe wäre es nicht gegangen, ich werde immer dankbar dafür sein, was man hier für mich getan hat. Ich habe mich in dieser Zeit sportlich sehr gut weiterentwickelt und konnte in der Kategorie -94kg schon 180kg Reißen, eine Leistung, die nur 8kg unter dem Weltrekord lag. Der Europameistertitel im Reißen wurde in dem Jahr, in dem ich 180kg gerissen hatte, für 177kg vergeben. Nur die Einbürgerung ließ auf sich warten. Anfang 2012 kam eine Zusage vom damaligen Minister Darabos, dass das nun nur noch Formsache sei und ich rechtzeitig eingebürgert werden würde, um in London an den Start zu gehen. Nach der Sitzung kam dann die Info, dass der Antrag diesmal noch nicht behandelt worden ist, aber für das nächste Mal eingeplant wäre. Dieser Zustand sollte sich dann leider Jahre dahinziehen, viele meinten schon, dass diese Einbürgerung nie erfolgen würde. Ich selber habe aber immer daran geglaubt, dass ich eines Tages international starten dürfte und auch für Österreich Medaillen holen würde.
Markus Koch: Fühlst Du Dich vom Verband optimal unterstützt?
Sargis Martirosjan: In der Zeit vor meiner Einbürgerung habe ich viele aufmunternde Worte erhalten, aber nicht immer eine wirklich hilfreiche Unterstützung, dazu hatte der Verband wohl auch nicht die Möglichkeiten. Mit der Einbürgerung verbesserte sich die Situation schlagartig. Seit ich 2016 die erste Medaille holen konnte gibt es nichts mehr, worüber ich mich beklagen müsste. Ja, ich fühle mich optimal unterstützt.
Markus Koch: Wie schätzt Du Deine Trainingsmöglichkeiten ein?
Sargis Martirosjan: Auch hier bin ich im Moment sehr zufrieden, ich habe alles, was ich brauche. Einziger Wermutstropfen ist, dass es kaum andere Athleten gibt, die auf einem ähnlichen Niveau trainieren wie ich. Da ich täglich mindestens 2 Einheiten trainiere stehe ich oft alleine in der Halle. Ich mache daher regelmäßig Trainingslager in Armenien, damit ist auch das kein Problem.
Markus Koch: Hast Du selber mit Deiner Silbermedaille bei der EM in Split gerechnet?
Sargis Martirosjan: Eine Medaille ist natürlich immer etwas Besonderes und kann nicht 100%ig vorhergesagt werden, aber die Antwort ist „Ja“. Meine Vorbereitung lief gut, ich durfte mir berechtigte Hoffnungen auf diese Medaille machen.
Markus Koch: Welche Ziele hast Du noch im laufenden Jahr?
Sargis Martirosjan: Ich möchte bei den Weltmeisterschaften in Anaheim, Kalifornien, mit neuen persönlichen Bestleistungen überraschen. Vor allem die 400kg Marke im Zweikampf möchte ich endlich erreichen.
Markus Koch: Welchen Stellenwert haben nationale Konkurrenzen für Dich?
Sargis Martirosjan: Im Moment sind die für mich nicht so wichtig, weil ich ohnehin keinen Gegner habe, der meinen Sieg gefährden könnte. Das würde sich aber schlagartig ändern, wenn einer der jungen Athleten es schaffen würde, zu mir aufzuschließen. Talente gibt es ja, noch sind die aber nicht nahe genug. Echte Konkurrenz haben wir im Moment bei der Bundesliga der Mannschaften, da wiederum habe ich persönlich das Ergebnis nur zum Teil selbst in der Hand. Hier würde ich mir von meiner Mannschaft, vor allem von den jungen Athleten, ein wenig mehr Engagement wünschen.
Markus Koch: Apropos Mannschaft: wie wohl fühlst Du Dich beim SK-Vöest?
Sargis Martirosjan: Sportlich hätte ich gerne, dass sich die jungen Athleten dort mehr ins Zeug legen, ansonsten fühle ich mich dort aber rundum wohl. Ich habe die Unterstützung, die ich brauche. Außerdem fühle ich mich in die Mannschaft gut integriert und habe dort gute Freunde. Auch nach dem Training sitzen wir oft noch zusammen und plaudern. Ein toller Verein, bei dem ich sehr gerne bin.
Markus Koch: Welche Ziele hast Du noch über das laufende Jahr hinaus?
Sargis Martirosjan: Ich habe nach meiner ersten EM-Medaille (Bronze) im Jahr 2016 versprochen auch noch Silber und Gold zu holen. Silber habe ich in Split ja nun geschafft, aber Gold ist noch auf meiner Agenda. Außerdem würde ich gerne auch ein Medaille im Zweikampf erringen und nicht nur in meiner Spezialdisziplin, dem Reißen. Zuguterletzt möchte ich noch einmal bei Olympischen Spielen für Österreich an den Start gehen.
Markus Koch: Was hast Du nach Deiner sportlichen Karriere vor?
Sargis Martirosjan: Ich möchte als Trainer oder Sportlehrer arbeiten. Die Ausbildung dazu habe ich in Armenien am „Armenian State Institute of Physical Culture“ gemacht. Im Juni dieses Jahres habe ich den Master in Sportpädagogik abgeschlossen.
Markus Koch: Wie wohl fühlst Du Dich in Österreich? Fehlt Dir etwas an Armenien?
Sargis Martirosjan: Mir gefällt es sehr gut in Österreich. Alltagssorgen hat man überall, aber in Österreich kann man gut und vor allem gefahrlos leben. Selbst Dinge wie das gute Straßennetz sind nicht so selbstverständlich wie es hier die meisten Leute empfinden. Österreich ist zudem ein sehr schönes Land. Zu Armenien habe ich natürlich nach wie vor ein Nahverhältnis, ich bin dort geboren und meine Eltern leben dort. Zum Glück komme ich regelmäßig auf Trainingslager und kann sie besuchen, damit fehlt mir nichts.
Hintergrundinformationen aus Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Yurik_Sarkisyan
https://en.wikipedia.org/wiki/Geghakert
https://de.wikipedia.org/wiki/Etschmiadsin
https://en.wikipedia.org/wiki/Armenian_State_Institute_of_Physical_Culture
Ergebnisse von Sargis Martirosjan in der Datenbank der IWF:
https://www.iwf.net/new_bw/athletes_newbw/?athlete=martirosjan-sargis-1986-09-14&id=11261
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